Einmal live dabei sein…

das denkt man sich ja immer mal wieder, wenn man Sportevents im TV sieht – vorausgesetzt, man hat eine Affinität zu diesem Sport. Der Zufall wollte es, dass ein Geburtstagsgeschenk zum runden Geburtstag meines Lieblingsmenschen Tribünenkarten für den Abfahrtslauf auf der „Streif“ in Kitzbühel waren. Wir sind beide begeisterte Skifahrer, haben es im Kleinkindalter schon gelernt. Die „Streif“ gilt als schwierigste Abfahrt der Welt, als Fans des Skisports haben wir immer die Rennen am Fernseher verfolgt. Einmal live dabei zu sein hat mich schon Wochen vorher in Hochstimmung versetzt.. Das Schicki-Micki-Drumrum in Kitzbühel ist uns beiden eher zuwider, das musste man unter Umständen in Kauf nehmen, mal schauen. Bei erwarteten 45.000 Besuchern am Samstag konnte man aber davon ausgehen, dass die Sportfans in der Mehrheit sein würden.

Ich hatte eine Unterkunft in der Nähe von Kufstein gebucht, in Thiersee. Der Blick vom Balkon unseres Appartements war eine wunderbare Einstimmung in die Winterwelt. Auf dem verschneiten Thiersee wurden Kinderwagen geschoben, Eisstockschießen oder Eishockey gespielt. Ein wahres Winterwonderland.

Von unserem Vermieter erfuhren wir, dass Thiersee in den fünfziger Jahren eine beliebte Filmkulisse war. Hier entstand unter anderem der Film „Das doppelte Lottchen“. Den Hausflur zierten dann auch jede Menge alte Filmplakate und Fotos, teilweise mit Autogramm der Schauspieler. Einige der Namen kannten wir noch, Hans Söhnker oder Hans Albers. Früher liefen ja die alten Schwarz-weiß-Filme immer mal wieder im Fernsehen. Früher…ohje, also in den sechziger und siebziger Jahren. Damals, als es kein Netflix etc. gab, kein Streaming, nur zwei Fernsehprogramme. Kommt mir heute vor wie eine andere Galaxie und ich staune mal wieder darüber, wie alt ich auf dem Papier wohl sein muss, wenn ich mich daran erinnern kann. Gefühlt ist es irgendwie immer anders. In diese neue Welt des Streamings bin ich immer noch nicht eingestiegen, ich habe weder Netflix noch sonst ein Abo. Ich wüsste auch gar nicht, woher ich die Zeit nehmen sollte, so viel Filme, Serien undsoweiter zu schauen. Aber jetzt sollte es ja tatsächlich mal ein Live-Event sein. Am nächsten Morgen brachen wir, dick eingepackt in mehrere Schichten, nach Oberndorf auf. Dort sollte der Shuttle nach Kitzbühel abfahren. Es war bitterkalt, aber die Sonne strahlte über einem winterblauen Himmel – Kaiserwetter! Auf dem Weg konnten wir dann noch diese Wolkenformation bewundern:

Wir fanden ohne Probleme den Parkplatz in Oberndorf und gingen die paar Schritte zum Bahnhof, wo wir uns in die Schlange der Wartenden einreihten. Der Shuttlezug brachte uns dann in zehn Minuten direkt zum Bahnhof „Hahnenkammbahn“ und damit waren wir schon mittendrin. Der Ort Kitzbühel hat etwa 8000 Einwohner – während der Renntage wurden um die 100.000 Menschen erwartet. Wir hatten uns das schlimm vorgestellt, aber nur auf dem Weg zum Zielgelände waren wir in der Masse unterwegs, danach verteilte sich die Menge und es war alles entspannt. Wir bekamen unser Bändchen und enterten die Tribüne, ein isolierendes Sitzpolster unter dem Arm, vor uns der Zielhang. Wir saßen direkt hinter den Boxen für die verschiedenen Fernsehanstalten, links von uns bereitete sich Felix Neureuther auf seinen Einsatz als Experte der „Sportschau“ vor. Im TV sieht das alles irgendwie immer größer aus, in Wirklichkeit sind die Bereiche kleine Boxen, durch provisorische Holzgeländer abgeteilt..

Wenn man das Rennen im Fernsehen verfolgt, bekommt man keinen Eindruck von der Geschwindigkeit, aber man sieht natürlich besser die Details. Live im Zielbereich kann man über große Videoleinwände das Rennen verfolgen, bis die Fahrer auf dem Zielhang erscheinen. Ich gebe zu, das waren Gänsehautmomente, wenn die Fahrer mit einem Sprung auf den Zielhang schossen und den letzten Teil der Piste herunter rasten.

Wir haben bis zum letzten Abfahrer alle bejubelt, es war wirklich ein tolles Erlebnis. Promis haben wir keine gesehen und die „Adabei`s“ haben wir einfach ignoriert oder uns angegrinst wenn mal wieder ein mit Markenschuhen, -Taschen,- Brille dekoriertes Geschöpf an uns vorbeiflaniert ist, langsam, den Kopf nach allen Seiten wendend, „seht ihr mich auch alle?“ Jaja, wir sehen dich, aber jetzt geh aus dem Bild!

Nach dem Rennen gings direkt zum Zug und zurück in die beschauliche Welt am Thiersee, voll mit den Eindrücken des spannenden Tages. Kitzbühel und die Partymeile haben wir sprichwörtlich links liegen lassen, aber wer es mag, dem sei es gegönnt. Würde ich es wieder machen? Ja, auf jeden Fall. Es war genial.

abc Etuden Nr. 2 im neuen Jahr

Durch die Welt der Blogs zu streifen ist wie virtuelles Kaffee trinken gehen. Man trifft auf unterschiedliche Gruppen, die ein Gespräch führen und kann seine eigene Meinung auch in den Ring werfen, wenn man möchte…Das wiederum führt zu neuer Inspiration, wenn die Gedanken einen Spaziergang gemacht haben. So ging es mir heute Vormittag beim Besuch bei Myriade https://laparoleaetedonneealhomme.wordpress.com/2024/01/11/abc-etuden-das-mitarbeitergesprach/

Daraus ist meine zweite Etüde entstanden. Verwendet habe die drei vorgegebenen Wörter

Krisenmodus, faul, empfehlen.

Danke für die Inspiration und die Gedankenanregung an Euch da draußen!

Crisis? What crisis?

„Guten Tag, Marianne Müller, ich habe reserviert.“

„Herzlich willkommen im Excelsior, Frau Müller!“ antwortet der Portier mit einem unverbindlichen Lächeln und ruft über die Schulter hinweg in Richtung des Hinterzimmers,

„Anne, die neue Gästin ist da!“

Sofort bin ich im Krisenmodus. Das Wort `Gästin` löst bei mir Brechreiz aus.

Ich kann nicht anders, ich muss mich auf den Tresen übergeben.

Der Rezeptionist sieht mich angeekelt an.

Er reicht mir ein Papiertaschentuch.

„Ich würde Ihnen empfehlen, sich hinzulegen“, sagt er und hat sich wieder im Griff.

Aus dem Hinterzimmer erscheint eine junge Frau, sie sieht die Bescherung auf dem Tresen und verschwindet. Kurz darauf kommt sie, bewaffnet mit Eimer und Wischtusch, zurück.

„Kommen Sie“, der Portier nimmt mich am Arm. Ein Reflex offenbar, denn er lässt mich nach einem Sekundenbruchteil wieder los und entschuldigt sich. Ich nicke nur und schweige. Anfassen ohne Erlaubnis? Ein No-Go. Wenn du wüsstest, denke ich, wie oft ich in meinem Leben schon ohne Erlaubnis begrabscht wurde. Meine me-too Liste ist lang. Aber falls ich doch noch umkippe, hoffe ich, er fängt mich auf, auch ohne meine vorherige Genehmigung.

Er weist auf einen der bequemen Sessel in der Eingangshalle.

„Darf ich Ihnen einen Tee bringen lassen?“

Ich nicke benommen und lasse mich in die weichen Polster fallen. Am liebsten würde ich hier faul liegen bleiben bis zum Abend.

Es wird Zeit, mich für die Sauerei, die ich angerichtet habe, zu entschuldigen.

„Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten“, sage ich förmlich. „Es ist mir furchtbar peinlich.“

„Aber nicht doch“, beschwichtigt er. “Hauptsache, es geht Ihnen bald wieder besser.“

Ich nicke und hole tief Luft.

„Bitte“ – ich mache eine Pause, weil ich mir blöd vorkomme, aber was soll ich denn machen? Jeder hat seine eigenen Trigger, oder?

„Bitte“, sage ich noch einmal, „nennen Sie mich nie wieder Gästin.“

abc Etüde 02_03_04_05/2024

Dieses Jahr will ich ja endlich meinem Schreib-phlegma entkommen. Jetzt in den ersten Tagen des neuen Jahres ist es schon ein allumfassendes Phlegma geworden, dem ich mich nur sehr schwer entziehen kann. Dieser Stimmung ist die Etüde entsprungen…

alles, was der geschätzte Blogbesucher zu den Etüden wissen muss, findet er bei Christiane https://365tageasatzaday.wordpress.com/2024/01/07/schreibeinladung-fuer-die-textwochen-0203040524-wortspende-von-ludwig-zeidler/

Die Wörter dieser Runde sind

Krisenmodus
faul
empfehlen.

diese Wörter sollen in einem Text mit nicht mehr als 300 Wörtern verarbeitet werden. Hier meine Etüde

Schmieren und salben hilft allenthalben

„Ich bin im Krisenmodus. Was können Sie mir empfehlen?“

Der Apotheker sieht mich fragend an.

„Was haben Sie denn?“ fragt er.

„Phlegma,“ antworte ich knapp.

Er ignoriert meine Antwort.

„Haben Sie Schmerzen?“ will er wissen.

Ich denke nach.

„Noch nicht, aber wenn ich weiterhin den ganzen Tag faul auf dem Sofa herumliege, bekomme ich sicher Rückenschmerzen.“

Der Apotheker dreht sich um, greift in das Regal hinter sich und zeigt mir eine Salbe.

„Dreimal täglich die betroffenen Stellen einreiben. Das macht dann fünfzehn Euro neunzig.“

Ich bin so verdutzt, dass ich ihm ohne Widerrede einen zwanzig Euro Schein über den Tresen reiche.

„Und das hilft gegen Phlegma?“ frage ich nach. „Sind sie sicher?“

Er legt mir das Wechselgeld hin und überreicht mir die Tube.

„Ich wünsche Ihnen gute Besserung!“

Damit bin ich wohl entlassen. Ich trotte zur Tür, steige ins Auto und fahre nach Hause. Dort studiere ich den Beipackzettel und finde auch keine Antworten. Also schmiere ich mir den Rücken ein und vorsichtshalber auch noch die Unterarme. Viel hilft viel. Ich will nicht zu früh aufgeben, lege mich auf die Couch und schalte den Fernseher ein. Alles bleibt wie es ist. Am Abend raffe ich mich immerhin auf, vom Sofa ins Bett zu wechseln. Vielleicht ist das ja der erste Fortschritt? Aber am nächsten Morgen ist das Phlegma schlimmer als je zuvor. Ich schaffe es nur noch in die Jogginghose. Mein Energielevel ist unter null gesunken. Das mit dem Apotheker war definitiv ein Reinfall. Ich verstehe das nicht. Es heißt doch:

Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

Muss ich jetzt doch zum Arzt gehen? Ich glaube, das schaffe ich nicht mehr, da müsste ich mich ja anziehen, die Haare kämmen, Zähne putzen….ich greife nach der Tube und schmiere mir die Handgelenke ein. Vielleicht hilft es ja.

Reset

Nach einem Jahr wage ich mich wieder aus der Deckung..

Früher war das Trauerjahr ganz normal, heute dreht sich das Hamsterrad unermüdlich weiter und Zeit zum Rückzug und zur Besinnung scheint es nicht zu geben. Ich habe mich nach dem Tod meiner Mutter, soweit es möglich war, zurückgezogen, habe es ausgehalten, nicht mehr schreiben zu können, einfach leer zu sein. Mir ist klar geworden, dass ich die langen Jahre des Heimaufenthalts meiner Mum auch nie verarbeitet habe. Den Verlust der Mutter, wie ich sie kannte, das Akzeptieren der Veränderung ihres Wesens. Im Rückblick habe ich das Gefühl, dass ich nach ihrem Tod leer gelaufen bin, Monat für Monat meine Energie verloren habe. Im Dezember war ich auf Reserve. Vielleicht war das der Grund dafür, dass ich dann, nach drei Jahren „ohne“, das erste Mal Corona positiv war. Der Dezember gab alles, tagelang Internetausfall, Laptop abgeraucht, Handy kaputt. Aber das alles war nicht wichtig, nur ärgerlich. Mein kleiner Mitbewohner, der über siebzehn Jahre an meiner Seite war, ist gegangen. In der Nacht vom 26. auf den 27. Dezember. Jetzt gehe ich die Treppe hinunter und will zur Haustüre gehen, um ihn zu rufen. Dann realisiere ich, dass er nie wieder kommen wird und mache auf dem Absatz kehrt. Er war fast achtzehn Jahre alt, schwerhörig, vergesslich und altersstarrsinnig. Wir waren wie ein altes Ehepaar, das sich aneinander gewöhnt hatte und die Eigenarten des anderen stoisch in Kauf nahm. Er maulte rum, wenn ihm das Futter nicht passte ( oder er einfach seinen Napf nicht mehr fand) und ich raunzte zurück. Ich bürstete sein Fell, weil er immer struppiger wurde und er schnurrte mich an. Jetzt bin ich allein im Haus und ich vermisse ihn, meine kleine Nervensäge. Ich hoffe, er ist bei seinem alten Kumpel Marti im Katzenhimmel angekommen.

Stiefel Winter 2022

Marti, links, gestorben 24.09.2018 mit Stiefel….

abc Etüden KW 4/5 2023

Ein neues Jahr, die Etüden nehmen wieder Fahrt auf. Die drei Begriffe, die in dieser Runde in eine Geschichte mit maximal 300 Wörtern untergebracht werden sollen sind: Drache, edel, häkeln. Ich fand, das schreit ja förmlich nach einem Märchen. Wer mich kennt, weiß, dass ich bekennende Märchenliebhaberin bin. Märchen gehen immer gut aus, es sind jede Menge Wunder möglich und Probleme werden auf höchst kreative Weise gelöst. Man sollte mit den Augen eines Kiindes lesen, und nicht hinterfragen, wie das denn möglich sein kann. Je älter ich werde, desto mehr muss ich das üben, das gebe ich offen zu. Aber wenn ich mich darauf einlasse, dann klappt es noch. Wer alle anderen großartigen Geschichten der Etüdenschreiber lesen will, ihr findet sie auf Christianes Blog: Schreibeinladung für die Textwochen 04*05*23 | Wortspende von Irgendwas ist immer | Irgendwas ist immer (wordpress.com)

Hier meine Etüde:

Wer einen Despoten bewzingen will, sollte häkeln können

Es war einmal ein Land, dort regierte ein grausamer König. Er liebte nichts, das schön war, er führte Kriege und verwüstete das Land. Bald gab es nur noch Schlachtfelder, die Menschen wohnten in den Ruinen ihrer Häuser. Auf den Wiesen blühten keine Blumen mehr, die Bäume ragten mit abgebrannten Stämmen in den Himmel. Der Drache, der seit vielen tausend Jahren in den Bergen lebte, beschloss einzugreifen. Er entführte die Königstochter und brachte sie in seine Höhle.  Er hinterließ eine Nachricht für den König. „Wenn du nicht aufhörst, das Land zu zerstören, siehst du dein Kind nicht wieder!“ Doch der König war schon so verblendet und in seiner eigenen grausamen Welt gefangen, dass er nur lachte und Krieger ausschickte, die den Drachen töten sollten. Das Mädchen aber war anders als sein Vater, es war edel und gut. „Du bist ein Drache, du hast doch sicher Zauberkräfte,“ sagte es zum Drachen. Der Drache nickte und schickte zu Bekräftigung eine lodernde Flamme in den Himmel. „Gemeinsam können wir den König besiegen“ sagte das Mädchen, „Wirst du mir helfen?“ Wieder nickte der Drache. „Ich kann Blumen häkeln“, sagte die Königstochter. „Wenn du den Blumen Leben einhauchst, dann fliegen wir damit über das Land und überall, wo die Blumen niederregnen, wird neues Leben erblühen.“ Der Drache sagte, „So sei es“. Bald war die Höhle angefüllt mit bunten Blumen und jede Art vermehrte sich auf wundersame Weise durch den  Zauber des Drachen. Dann kam der Frühling und das Mädchen flog mit dem Drachen über das Land. Überall, wo die Blumen niederfielen, erblühten sie und die Menschen schöpften wieder Hoffnung. Sie schlossen sich zusammen und stürmten die Burg und vertrieben den grausamen König. Die Königstochter kehrte zurück und herrschte weise und gütig über das Land und wenn sie nicht gestorben ist dann lebt sie noch heute…..

Fortsetzung der Geschichte von Theres

Jetzt waren sie auf dem großen Platz angelangt. Es war noch früh am Morgen, aber der Platz war schon gut gefüllt. Die Bauern aus dem Umland verkauften hier ihre Waren, und die Gruppen der Hütekinder aus Tirol, Vorarlberg oder Graubünden standen dicht gedrängt zwischen den Marktständen. Theres sah die drei Kinder der Ganahl Vroni. Mattheis Ganahl war beim Heuziehen verunglückt und jetzt musste die Vroni drei Kinder ins Schwabenland schicken, die kleine Anna war gerade sieben Jahre alt. „Herr Vikar“, sagte sie und zog den jungen Pfarrvikar an der Soutane. „Passen Sie auf, dass die Anna eine gute Stelle bekommt! Sie ist ja noch so klein!“ Der junge Pfarrvikar nickte. „Ich weiß, Theres. Es wird eh nachher noch schwierig, jemanden zu finden, der das Hascherl nimmt.“ Ein Bauer mit einem langen Mantel und einem, mit vielen Silberknöpfen besetzten Wams, blieb vor der Gruppe stehen. „Ich such` eine gute Magd, die auch kochen kann. Wir haben einen großen Hof und drei Knechte, da gibt’s viel zu tun. Du,“ er zeigte auf Theres, „Was verlangst du?“ Theres nahm allen Mut zusammen und sah ihm direkt in die Augen. „Achtzig Mark und doppelt Häs“, sagte sie. Der Bauer lachte sie aus. „Dafür krieg ich ja einen Knecht für den Sommer!“ „Kann schon sein“, sagte Theres, „Aber der Knecht kann dir nichts kochen!“. Der Bauer lachte wieder. „Du gefällst mir!“ sagte er,“ dich kann man sicher auch auf den Markt schicken und du handelst einen guten Preis aus. Wie heißt du denn?“ „Theres Thöni.“ „Also gut, Theres. Ich bin der Aloys Allgaier.  Sagen wir fünfundsiebzig?“ Er hielt Theres die Hand zum Einschlag hin. Sie wartete, bis sie von Johann das Zeichen bekam. Er war um Allgaier herumgeschlichen und hatte geprüft, ob er einen Kreidestrich auf dem Mantel hatte. Das war das Zeichen dafür, dass ein Bauer seine Leute schlecht behandelte. Die Erfahrenen unter den Schwabenkindern machten den schlechten Herren einen Kreidestrich auf Mantel oder Joppe, um die anderen zu warnen. Johann war wieder neben sie getreten. „Nichts“, flüsterte er und nickte Theres zu. „Also gut“, sagte sie und schlug ein. „Herr Vikar!“ sie rief nach dem Vikar, der den Namen und die Adresse sowie den ausgehandelten Lohn in das schmale Buch eintrug. Seit der „Hütekinderverein“ die Bauern kontrollierte, kam es kaum mehr vor, dass ein Kind zu wenig zu essen bekam oder um seinen Lohn betrogen wurde. 

„Aloys Allgaier“,  sagte der Bauer, „ vom Allgaierhof in Baienfurt“, fügte er stolz hinzu.

Johann trat nach vorne. „Braucht ihr auch einen Knecht?“ fragte er. Aloys Allgaier musterte ihn. Johann war groß und man sah, dass er seit Jahren schwere körperliche Arbeit verrichtete. Er wär wohl hundert Mark wert, dachte Aloys. Aber mehr als achtzig zahl` ich ihm nicht. „Ich zahl dir achtzig Mark und doppelt Häs`“, sagte er und sah Johann an. Der Vikar hatte die letzten Worte gehört und kam dazu. „Der Johann ist mehr wert“, griff er ein. „Ihr müsst ihm hundert Mark zahlen, er ist ja schon ein ausgewachsener Mann!“. „Achtzig und dabei bleibt´s !“, sagte Aloys Allgaier und wollte sich schon umwenden. Johann trat im ihn den Weg und hielt ihm die rechte Hand hin. „Es gilt“, sagte er und Allgaier schlug ein. „Und wie heißt du?“ „Johann Brenner, aus Mariaberg.“ „Also Herr Vikar, dann schreiben sie den Johann Brenner auch noch für mich auf“, sagte Allgaier zum Vikar. Der schüttelte nur mit dem Kopf, als den Lohn für Johann eintrug. Was war bloß in den Buben gefahren? Die Brenners brauchten doch auch jeden Kreuzer! Es sah auf und beobachtete, wie Johann Theres ansah. Daher weht der Wind, dachte er. Gebe Gott, dass da nicht ein sündiges Kind draus wurde. Er bekreuzigte sich und wandte sich wieder seinen anderen Schützlingen zu.

Aloys Allgaier ging mit Theres und Johann zur `Krone`, wo sein Pferdegespann angebunden war. „Jetzt essen wir erst einmal eine Suppe in der Krone, bis wir daheim sind dauerts ja auch noch.“ Sie betraten den großen rauchgeschwängerten Gastraum und Allgaier setzte sich zu zwei Bauern an den Tisch, die er kannte. „Setzt euch da auf die Bank, die Resi bringt euch dann was zu essen.“ Er zeigte auf eine Bank mit einem kleinen Tisch davor und rief der Wirtin. „Resi! Bring meinen Tirolern eine Suppe und mir ein Gselchtes mit Kraut!“Kurze Zeit später standen zwei bis an den Rand gefüllte Teller mit Kartoffelsuppe vor Theres und Johann und eine dicke Scheibe Brot gab es auch noch dazu. Theres und Johann sahen sich an.  Sie mussten nichts sagen und wussten doch, dass sie beide dasselbe dachten. Wir haben es gut erwischt. Sie bekreuzigten sich und begannen dann zu essen. Als sie später auf der Pritsche von Allgaiers Pferdegespann saßen und die sanfte Allgäuer Landschaft an ihnen vorbeizog, fragte Theres „Warum hast du denn die Arbeit ang`nommen, wo du doch zu wenig Lohn bekommst?“ Johann sah auf seine Schuhe. Sollte er die Wahrheit sagen? Wie würde Theres darauf reagieren? Er nahm allen Mut zusammen. „S`ist wegen dir, Theres. Ich wollt´ bei dir bleiben!“ Theres sah ihn überrascht an. „Aber –“ sie fing den Satz an und er blieb in der Luft stehen. Sie nahm Johanns Hand. „Dann freuts mich, dass du da bist, wo ich bin. Wer weiß, wofür´s gut ist.“ Sie drückte seine Hand noch einmal und ließ sie dann los.„Wir sind bald da“ rief der alte Allgaier vom Kutschbock aus. „Das ist schon alles mein Grund und Boden!“ fügte er mit Stolz in der Stimme hinzu.

mein zweites Projekt…noch nichts überarbeitet, soll eine Familiengeschichte über drei Generationen werden. Es beginnt mit Theres. Arbeitstitel:

Schnee fällt ins Herz

Theres 1896

Schwabenkinder nannte man die Kinder armer Bergbauern, die im März ins Allgäu zogen um dort im Sommer auf den Bauernhöfen zu arbeiten. Ein Esser weniger am Tisch war für die Eltern daheim eine Hilfe, und der Lohn war zumindest ein `zweifach Häs`, eine zweifache Ausstattung an Kleidung und Schuhen, und ein paar Mark. Theres war zwölf Jahre alt, als sie zum ersten Mal in Ravensburg auf dem Hütekindermarkt neben einigen hundert anderen Kindern stand.

Jetzt ist sie sechzehn und gehört schon zu den Großen, die wissen, was auf sie zukommt. In den Jahren davor hatte der alte Pfarrer die Kinder nach Ravensburg begleitet, dieses Jahr hatte er die Aufgabe seinem Vikar übergeben. Säuberlich hatte dieser die Namen aller Kinder in ein schmales Heft eingetragen und prüfte jetzt, ob auch alle da waren. Fünfunddreißig waren es dieses Jahr, die Kleinste war erst sieben Jahre alt. Theres und Johann mit ihren sechzehn Jahren waren schon seit fünf Jahren dabei, sie kannten sich aus und würden für sich selbst sprechen können. Die Kleinen für einen anständigen Lohn zu vermitteln, würde sicher nicht einfach werden.

„Wenigstens seht ihr nicht so geschunden aus nach der Wanderung wie die Kinder früher,“ sagte der Vikar zu der Gruppe, die ihn umringte. „Seit der Verein die Zugfahrt nach Bregenz bezahlt, müssen wir nicht mehr über den Pass, dem Herr sei´s gedankt.“ Theres und Johann sahen sich an. Sie erinnerten sich gut an ihre allererste Wanderung nach Oberschwaben. Es war nicht ungewöhnlich, dass der Arlbergpass im März noch mit Schnee bedeckt war. „Meine Schuhe haben den Pass damals nicht überlebt.“ Johann dachte mit Schaudern daran. Theres nickte. „Das ist vorbei,“ sagte sie.“ Und die Schwabengängerei ist für mich auch vorbei, nächstes Jahr geh ich nach Landeck in die Textilfabrik.“ Johann sah sie an. „Du willst in die Fabrik? Weg von Mariaberg?“ „Ja,“ sagte Theres und hob dabei ihr Kinn an, als wollte sie mit dieser Geste ihrem Ja Nachdruck verleihen. „Überall ist es besser für mich als in Mariaberg.“ Theres zog ihre schäbige Strickjacke, die Löcher an den Ellbogen hatte, über der Brust zusammen. Ihre langen dunklen Zöpfe hatte sie zu einem Kranz um den Kopf gewunden, die großen blauen Augen wechselten die Farbe mit dem Licht, jetzt waren sie dunkel wie die Veilchen, die sie auf dem Weg hierher an den Wegrändern gesehen hatten. Sie ist das schönste Mädchen von Mariaberg, dachte Johann, ach was, von ganz Tirol! Die Stimme des Vikars riss ihn aus seinen Gedanken.

„Johann, Theres, ihr könnt ja schon für euch selber sprechen. Letztes Jahr hat der Johann zweifach Häs und 80 Mark bekommen, dann kannst du dieses Jahr ruhig mit 100 anfangen. Du bist ja jetzt groß wie ein ausgewachsener Mann und schaffst wie ein Knecht, dann sollen sie dich auch so bezahlen!“ Johann stieg die Röte ins Gesicht. Der Vikar hatte ihn als Mann bezeichnet und Theres hatte es gehört! Er sah Theres verstohlen an, aber sie zeigte keine Reaktion. Der Vikar wandte sich an Theres. „Bei dir waren es zweifach Häs und sechzig Mark. Also verlang ruhig siebzig, gehandelt wird ja allemal.“ Theres nickte. Sie würde sich nicht mit einem Almosen abspeisen lassen, aber sie würde auch nicht mit jedem Bauern nur für gutes Geld mitgehen. Letztes Jahr hatte sie kein Glück gehabt, der Bauer, der sie auf dem Markt gesteigert hatte, war nett gewesen, aber die Bäuerin war eine bitterböse Frau. Alle mussten vor ihr kuschen, auch der Bauer. Mehr als einmal hatte die Bäuerin sie „Sautirolerin“ genannt. „Trag den Kopf net so hoch“, hatte sie gekeift, „Hochmut kommt vor dem Fall, und du wirst noch tief fallen!“ Aber was blieb einem denn außer dem eigenen Stolz, wenn man sich hier auf dem Markt anbieten musste wie ein Stück Vieh? dachte Theres verbittert. Als sie kleiner war, hatte sie dafür kein Bewusstsein, da ging es nur darum, einen guten Platz zu finden, wo es genug zum Beißen und keine Schläge gab. Jetzt wollte sie so viel Profit wie möglich aus ihrer Arbeitskraft herausschlagen. „Ich werde achtzig Mark verlangen“, sagte sie selbstbewusst und Johann sah sie bewundernd an. Die Theres wird es noch weit bringen, dachte er. Kein Wunder, dass sie nicht im Mariaberg bleiben will.

3. Januar 2023

das neue Jahr

in der ersten Sonne schnuppern

trügerisch mag sein

ist diese Frühlingsluft

der nächste Winter mag er

kommen heute

trägt mich der blaue

Himmel

Zeitmärchen 2023

Die Zeit drehte sich immer langsamer, sie spürte den Wechsel nahen. Das Jahr 2022 war alt geworden, die Zeit sah, wie es mit letzter Kraft den Weg zu ihrem Feuer ging. “ Bald hast du es geschafft, “ flüsterte sie ihm zu. 2022 richtete sich mühsam auf. “ Niemand wird mich vermissen“, schniefte es. „Es geht mir wie 2020 und 2021, die Menschen sind enttäuscht und finden, ich war ein miserables Jahr.“ Die Zeit wiegte sich leicht im Takt. „Mach dir nichts daraus, 2022. Die Menschen sind ein kleiner Wimpernschlag in den Äonen, die ich gesehen habe. Du hast deine Arbeit getan, ein neues Jahr wird aus der Asche steigen und neue Hoffnung bringen.“ Sie lächelte 2022 an. „Leg dich hin und ruh dich aus, die Stunde ist nah.“ 2022 legte sich nah an das Feuer, das höher und höher stieg und mit seinen heißen Fingern nach ihm griff. Die Zeit blies in die Flammen, sie loderten auf und 2022 war verschwunden. Dann erlosch das Feuer, ein neues Jahr kroch aus der Asche und die Zeit drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Du sollst 2023 heißen und die Hoffnungen der Menschen tragen bis deine Stunde gekommen ist.“ Das junge Jahr lächelte und machte ein paar unsichere Schritte auf die Zeit zu. „Geh nun und wachse, bring Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und dann kehre zurück zu mir und mach Platz für ein neues Jahr,“ sagte sie und schob das junge Jahr sanft von sich. Dann drehte sie sich und die Minuten wirbelten aus ihr heraus. Schneller und schneller drehte sie sich im Takt der Herzen, die in diesem Moment hoffnungsvoll das neue Jahr begrüßten. Ta-tamm-ta- tamm-ta-tamm……

Ich wünsche Euch ein neues Jahr, das die eine oder andere Hoffnung für Euch wahr werden lässt, den einen oder anderen Wunsch erfüllt…wie vermutlich alle wünsche ich mir nur eines für die Welt: Frieden.

Die Idee für das „Zeitmärchen“ ist, wie könnte es anders sein, aus einer Etüde entstanden:

Märchenzeit – Zeitmärchen

Bedenke wohl, was du dir wünscht, es könnte dir gewährt werden

eine „alte“ Etüde aus dem Jahr 2017

fiel mir heute ein…damals gab es die Advemtüden noch nicht…es war die KW48 und die Wörter waren von Myriade Flussbett, lamgwierig, klöppeln.

Ich finde, die kleine Geschichte passt wunderbar in die Zeit!

Schwarze Nacht

Der Schlitten raste neben dem Flussbett entlang.

Die Nacht war so schwarz, dass die Tannen sich kaum vom Horizont abhoben.

Alles schien in einem dunklen Nebel zu versinken und jeder schickte ein Stoßgebet zum Himmel, in der Hoffnung, der Mond möge endlich die Wolken durchdringen und sein kaltes Licht auf die Erde  schicken.

Das Ausarbeiten der Route war derartig langwierig gewesen, dass Frau Claus behauptet hatte, sie hätte in derselben Zeit ein Spitzendeckchen klöppeln können.

Aber es war nun einmal wie es war, sie konnten jetzt eben nur an Flüssen und großen Straßen entlang reisen,  sonst wären sie völlig verloren gewesen.

In kleine Seitenstraßen abzubiegen war  jedoch nicht zu vermeiden, und es grenzte jedes Mal an ein Wunder, wenn sie dann doch wieder auf der Hauptroute landeten und das nächste Ziel ansteuern konnten.

Der kranke Rudolf hatte dieses Jahr alles durcheinander gebracht.

Ohne das Licht seiner Nase den Weg zu finden war so irrsinnig anstrengend für alle Beteiligten, dass Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner und Blitzen beschlossen, Santa Claus endlich ein Navigationsgerät zu Weihnachten zu schenken.

06.12. – Der Einbrecher | Adventüden

Im Rahmen unserer ABC Etüden Schreibgruppe gibt es seit Jahren auf Initiative von Christiane von 365tageasatzaday.wordpress.com einen Adventskalender mit „Adventüden“. Der heutige Beitrag ist von mir, alle anderen lesenswerten Beiträge findet ihr auf Christianes Blog!

Irgendwas ist immer

Kommissar Sturz setzte sich.

»Sie wissen, warum Sie hier sind?«, fragte er den alten Mann im Verhörzimmer. Dieser zog ein großes, weiß-rot kariertes Taschentuch aus seiner Hosentasche und schnäuzte sich lautstark. Dann schüttelte er den Kopf.

»Sie sind ein rechter Tunichtgut«, sagte Sturz. Er stutzte, kratzte sich am Kopf und fragte sich, warum er so freundlich mit diesem alten Trottel sprach. Irgendetwas hat der an sich, was mir total den Kopf verdreht, dachte er.

Er wandte sich wieder an den alten Mann. »Sie wurden aufgegriffen, als Sie in ein Haus einbrechen wollten. Wollen Sie sich dazu äußern?«

Der alte Mann holte aus seiner Jackentasche ein Bündel Lametta hervor, reichte es Sturz über den Tisch und nickte ihm aufmunternd zu. Der Kommissar wollte vor Wut aufspringen, stattdessen lächelte er und bedankte sich höflich. Was ist nur los mit mir, fragte er sich wieder, aber kam nicht zum Nachdenken, denn die…

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Schätze

Seit Wochen stehe ich Tag für Tag knietief in Erinnerungen – meine Schwester und ich müssen das Haus meiner Eltern leeräumen.Wenn ich nach drei, vier Stunden heimkomme, habe ich Schwierigkeiten, wieder in der Realität anzukommen. Es ist emotional ziemlich anstrengend, doch immer wieder finden wir Schätze, von denen wir nichts wussten. So zum Beispiel das Testament meines Ur-Urgroßvaters aus dem Jahr 1915. Er war von Beruf Wagner, ein Beruf, den man heutzutage nicht mehr braucht. Neben seinem Barvermögen, das nicht unbeträchtlich war, hat er auch verfügt, wer seinen schwazen Anzug bekommen sollte und seine Winterstiefel. Ebenso wurde ein Schubkarren und eine Kommode verteilt. So wertvoll war der Anzug, dass er im Testament erwähnt wurde. Das hat mich wirklich berührt. Heute ist Kleidung ein Wegwerfartikel. Ich war ja selbst lange genug in der Textilbranche und habe den Irrsinn erlebt. Von zwei Saisons, Sommer und Winter, ging es auf sechs Saisons und dann irgendwann auf zwölf. Jeden Monat eine neue Kollektion, mittlerweile dreht sich das Rad immer schneller, Fast Fashion. Wir brauchen nichts und sollen doch immer mehr kaufen. Es ist gut, dass der Trend zum Secondhand, Upcycling oder auch Tauschen immer stärker wird. Dingen wieder Wert verleihen, Lieblibngsstücke schätzen und lange Freude daran haben. Aus allen Ecken tönt es heute „Nachhaltigkeit“, als ob das eine neue Erfindung wäre. Unsere Ahnen waren nachhaltig, vielleicht nicht immer aus Überzeugung sondern oft auch aus der Not, aber sicher haben sie Dinge mehr wertgeschätzt.

Aus der Originalabschrift, die mein Urgroßvater 1917 per Einschreiben zugestellt belkam:

Ungeschick, höre auf – und willst du nicht aufhören, so mache wenigstens eine Pause!

Diesen Spruch habe ich vor vielen vielen Jahren mal in einem Märchen aus 1001 Nacht gefunden. Seither kommt er immer mal wieder zum Einsatz. Es ist ja doch auch so, geht die Waschmaschine kaputt, folgt bald darauf der Trockner oder ein anderes elektrisches Gerät.

Den Anfang machte die Tatsache, dass ich, vermutlich in einem Anflug geistiger Umnachtung und ohne es bewusst zu registrieren, was ich da gemacht habe, offenbar auf Windows 11 upgedatet habe. Was ich auch nicht wusste: die Anmeldung auf dem Laptop funktioniert dann nicht mehr wie gewohnt, man braucht ein neues Passwort. Ich konnte also mein eigenes Gerät nicht öffnen und musste erstmal recherchieren, was da los ist. Irgendwo habe ich die Info gefunden, dass man ein neues Passwort braucht. Sicher gibt es jetzt jede Menge Leute, die die Augen verdrehen nach dem Motto, „das weiß man doch!“ – ich wusste es nicht und bin voll in die Falle getappt.

Kurz darauf machte mein Laptop keinen Mucks mehr und schuld war der interne Akku. Also auf zum PC Helfer meines Vertrauens, der auch schnell den Fehler gefunden hatte. Er musste den Akku neu bestellen und ich konnte in der Zwischenzeit nur mit Netzteil arbeiten. Was für ein Geeier! Hatte das Laptop genauso wenig Spass an Windows 11 wie ich und das war eine Art Protestreaktion? Auch Dinge haben Seelen…

Aber wer jetzt glaubt, das wäre es gewesen, irrt sich. Das nächste war ein Zimmerbrand, an dem ich nicht ganz unschuldig war. Aber meine Dussligkeit war wirklich der Trauer um meine Mama geschuldet und daraus resultierender allgemeiner Verwirrung. Am Ende hatte ich sämtliche Schutzengel auf meiner Seite, außer einem eimergroßen Brandloch in meinem Eicheparkett ist nichts passiert. Der Brandgeruch hielt sich ewig, meine Duft-Lampe war im Dauereinsatz.

Und nein, es war nicht das Ende. Im Anschluss daran war das Fallrohr von Küche und gegenüberliegendem Hauswirtschaftsraum verstopft. Trotz aller Anstrengungen haben wir es nicht alleine geschafft, die Verstopfung zu lösen. Also musste ein Rohrreiniger her, der dann auch nach einer knappen Woche endlich kam und etwa sechs Meter durch das Rohr fräste….

Ich fand ja schon immer, dass November der schlimmste Monat des Jahres ist. Der November 2022 hat sich selbst übertroffen in Widerwärtigkeit. Ich bin der Meinung, jetzt reicht es. Siehe oben, Ungeschick höre auf, und willst du nicht aufhören. so mache wenigstens eine Pause!

abc Etüden KW38/39.22

Worum geht`s? Eine Wortspende, für diese Etappe „Regentonne, sensibel, schwanken“ soll in eine Geschichte mit maximal 300 Wörtern verpackt werden. Gehostet wird die Gruppe von Christiane auf ihrem Blog https://365tageasatzaday.wordpress.com/2022/09/18/schreibeinladung-fuer-die-textwochen-38-39-22-wortspende-von-nellindreams/

hier findet ihr auch alle anderen wunderbaren Geschichten der EtüdenschreiberInnen.

Herr Krüger

Ist es verwerflich, wenn ich mir vorstelle, dass ich Herrn Krüger am liebsten in der Regentonne ertränken würde? Vermutlich ja. Wobei ja angeblich die Gedanken frei sind. Solange ich also diese Szenarien niemandem auf die Nase binde, kann ich vordergründig immer noch als moralisch einwandfreie Mitbürgerin auftreten. Das würde auch absolut den Tatsachen entsprechen, denn ich parke nicht einmal falsch oder fahre mit erhöhtem Tempo durch Ortschaften. Ich bin linientreuer als ein Volkspolizist. Wieviel kriminelle Energie in mir steckt, das weiß nur ich ganz allein. In Gedanken habe ich Herrn Krüger bereits mehrfach vom Leben zum Tode befördert. Er wurde bereits erschlagen, hinterrücks erstochen und jetzt auch ertränkt. Herr Krüger ist das einzige Lebewesen auf diesem Planeten, das es schafft, mich in Sekundenbruchteilen an den Rand meiner Belastbarkeit zu bringen. Es ist nicht so, dass ich zu sensibel wäre. Ich würde sagen, ich bin neudeutsch taff, so schnell bringt mich nichts ins Schwanken. Aber Herr Krüger und seine ganze Sippe werden mich irgendwann ins Grab befördern, ein Herzinfarkt vermute ich. Deshalb habe ich mich entschieden, es jetzt zu Ende zu bringen. Zumindest den alten Krüger werde ich beseitigen. Heute ist der Tag, ich bin bereit. Seit Stunden liege ich auf der Lauer, wenn er sich zeigt, dann erledige ich ihn mit dem Staubsauger und es ist mir egal, dass er schon so lange mit mir unter einem Dach wohnt. Meine Freunde sind der Meinung, ich sollte mich doch mittlerweile an ihn gewöhnt haben, wenn ich ihn doch sogar schon Herr Krüger nenne. Aber ich werde mich nie daran gewöhnen, beim Lesen aus dem Augenwinkel einen Schatten vorbeihuschen zu sehen, der mindestens handtellergroß ist und mich in Panik versetzt. Jetzt ist Schluss. Herr Krüger muss sterben. Ich hasse Spinnen.

2811

2811 Tage war meine Mutter mit vaskulärer Demenz im Heim. Das Jahr 2022 war das Ende eines langen Weg des Abschiednehmens – ein schmerzhafter Prozess, der wenig Kraft übrig ließ.  Das tägliche Leben mit seinen Herausforderungen war zu meistern, mehr nicht. Ich habe mich meistens in mein Schneckenhaus zurückgezogen um wieder aufzutanken. Immer wieder hatte ich den Impuls, einen Post zu machen, aber mein Kopf war leer, am Ende starrte ich Löcher in die Wand und war nicht in der Lage, einen Satz zu formulieren. Am 05. September war ihr Lebensweg zu Ende, ein Segen für sie, sie wog noch knapp 35 Kilo und wollte nichts mehr essen oder trinken, mit dem Reden hörte sie schon 2021 auf. Wenn ich sie besuchte, habe ich ihr Suppe eingeflößt, langsam. Löffel für Löffel, ein Schälchen Suppe eine Stunde. Danach habe ich mich neben ihren abgemagerten Körper gelegt, sie umarmt und ihr all die Lieder vorgesungen, die sie mir als Kind gesungen hat. Am Sonntag, den 04. September war ich bei ihr und sang ihr das Lied vom „Rolandsbogen“, ein altes Volkslied, das wir oft im Kreis der Familie gesungen haben. Wie gesagt, sie hat nicht mehr gesprochen, aber sie hat es an diesem Sonntag versucht, sie erkannte das Lied. Am Montag durfte sie im Kreis der Familie gehen.

Jetzt bin ich Waise und es fühlt sich seltsam an,  diese Realität ist noch nicht bei mir angekommen. Es macht keinen Unterschied, ob man Jahre Zeit hat, sich an den Gedanken zu gewöhnen oder ob ein geliebter Mensch plötzlich verstirbt, der Schmerz ist derselbe. Dieses Gefühl, dass es doch nicht sein kann, dass die Welt sich weiter dreht, dass alles seinen gewohnten Gang geht, obwohl doch das eigene Leben eine Zäsur erlebt, die alles Gewohnte aus der Bahn wirft. Was ist noch wichtig in so einer Zeit? Ich hatte das Gefühl, ich stünde auf einer Klippe und rechts und links von mir versänke alles im Nebel. Langsam arbeite ich mich jetzt zurück, Tag für Tag. Das ist mein erster Post 2022. Im Juni hatte ich 10 jähriges mit dem Blog. Meine Aktivitäten nahmen ab mit weiter fortschreitender Krankheit meiner Mutter und kamen Ende letzten Jahres auf dem Nullpunkt an. Ich habe mich gefragt, was ihr Vermächtnis an mich ist. Es ist die Liebe zur Sprache und zur Musik. Sicher ist es in ihrem Sinne, wenn ich jetzt endlich wieder aktiver werde, mehr schreibe und mehr singe. Welcome back.