Seit sechs Jahren ist meine Schreibwoche bei Jutta Reichelt ein fester Bestandteil des Sommers für mich. DIe kurze Woche in der Freudenburg in Bassum fühlt sich immer länger an, als sie tatsächlich ist. Trotzdem kann ich es kaum fassen, dass es heute Donnerstag ist und ich morgen schon wieder nach Hause fahren muss.
Gestern erzählte Jutta, dass sie sich manchmal, wenn sie nicht einschlafen kann, Alliterationen ausdenkt. Ich fand das interessant und dachte, das probiere ich mal aus. Offenbar war allerdings mein Wortreservoir nach einem schreibend verbrachten Tag ausgeschöpft und die Ideen, die ich hatte, waren wenig inspirierend. Zumal ich dann auch nicht mehr sicher war, was nun eine Alliteration ganz genau ist. Frau Google hat es mir erklärt. Eine Alliteration ist, wenn zwei oder mehr Worte mit demselben Buchstaben beginnen. Wenn allerdings alle Wörter im Satz mit demselben Buchstaben beginnen, dann ist es ein Tautogramm. Ich erinnerte mich daran, dass ich das irgendwann einmal gelernt und wieder vergessen hatte. Das, was ich mir ausdenken wollte, war also ein Tautogramm. Sinn dieser Übung sollte sein, dass sich daraus Inspirationen für neue Geschichten ergeben. Ich dachte nach und das einzige, was mir einfiel, war: Maria mag Mehlwürmer. Warum mag sie Mehlwürmer? Und wer ist diese Maria überhaupt? Eine Schiffbrüchige, die auf einer Insel landet, auf der es nur Mehlwürmer gibt? Eine Amsel namens Maria, die keine Lust mehr auf Regenwürmer hat? Eine Wissenschaftlerin, die Tierversuche mit Mehlwürmern ablehnt? Alles unbrauchbar. Nächster Versuch. Maria mordet mittelmäßig. Warum eigentlich immer Maria? Aber abgesehen davon, kann ich mit Maria mordet mittelmäßig schon mehr anfangen. Eine Auftragskillerin in der Ausbildung, der man bescheinigt, dass sie nur mittelmäßig mordet und die deshalb keine Aufträge bekommt. Kann man sich als Auftragskiller arbeitslos melden? Was macht sie ohne Aufträge? Eine Weiterbildung? Sommerakademie für Auftragskiller? Okay, ich sehe es ein. Auch keine wirklich zielführende Idee. Neuer Versuch. Andrea arbeitet auswärts. Langweilig. Uwe untersucht Unterhosen. Schon besser, aber da geht sicher noch mehr. Ich gebe nicht auf, irgendwann muss doch der große Wurf dabei sein, die zündende Idee. Irmelin irritiert Ingeborg. Ich stelle mir zwei alte Damen vor, die eine Alters-WG gegründet haben und ihr geregeltes Leben mit Gesundheitsschuhen und Kurzhaarfrisur führen. Eines Tages nimmt Irmelin für den jungen Mann, der mit seiner Freundin in der Mansardenwohnung wohnt, ein Päckchen an. Die Paketboten wissen, dass die beiden Damen immer zuhause sind und klingeln immer erst bei Irmelin und Ingeborg, denn die wohnen im Erdgeschoß und dann muss der Bote nicht auch noch eine Treppe hochgehen. Irmelin hat gar nichts dagegen, denn ihre Neugierde ist zu groß. Sie studiert die Absender und macht eine Strichliste zur Dokumentation, wer wann wie oft Pakete bekommen hat und von wem. Wenn du Spaß daran hast, Irmelin, meinetwegen. Ich persönlich finde das ja etwas übergriffig, um ehrlich zu sein. Ingeborg tut etwas pikiert und zieht eine Braue hoch, aber sie lässt es sich dennoch nicht nehmen, ab und zu einen Blick auf Irmelins Liste zu werfen. Alles geht seinen gewohnten Gang bis zu jenem verhängnisvollen Tag, als der junge Mann aus der Mansardenwohnung ,sein Paket abholt und Irmelin eine Dose mit Keksen schenkt. Als Dankeschön! Selbstgebacken, ehrlich! Fügt er hinzu. Irmelin probiert einen Keks, fischt ihn mit spitzen Fingern aus der Dose und knabbert ein kleines Stück ab. Der schmeckt ja richtig gut, denkt sie und isst den Keks auf. Sie lässt die Dose in ihrem Zimmer verschwinden, teilen will sie nicht.. Eine halbe Stunde später fängt sie an zu singen. Dann beschließt sie kurzerhand, zum Frisör zu gehen, völlig außer der Reihe und ohne Termin und nicht zu ihrem Stammfrisör. Sie weiß selbst nicht, welcher Teufel sie reitet als sie den chaotischen kleinen Laden in Mitte betritt, aber irgendwie fühlt es sich gut an. Heraus kommt sie mit pink gefärbten Haaren und anrasierten Seiten und hat einen neugründeten Oma Irmelin Fanclub. Hast du die Oma gesehen, die sich bei Atze die Haare färben lassen hat? Echt Krass Alter, voll pink ey. Irmelin fühlt sich großartig, endlich dreht sich mal wieder jemand nach ihr um, das ist schon seit dreißig Jahren nicht mehr passiert. Als sie wieder vor dem Haus steht, in dem sie mit Ingeborg wohnt, stellt sie fest, dass sie keinen Schlüssel dabei hat. Sie klingelt Sturm und Ingeborg schimpft durch die Sprechanlage. Ich bins, Ingelein, ruft Irmelin, lass mich re-ein! Der Türöffner summt und Irmelin geht singend an den Briefkästen vorbei, den Flur entlang zu ihrer Wohnung, wo Ingeborg sie an der Tür erwartet. Als sie Irmelin mit pinken Haaren auftauchen sieht, fällt sie fast in Ohnmacht. Zur selben Zeit ruft in der Mansardenwohnung die Freundin des jungen Mannes, ich nenne ihn mal Finn, und wie nenne ich das Mädchen, Moment, ich habs gleich, Olivia, genau. Also Olivia ruft: Finn, wo ist meine Keksdose?
Finn: Welche Keksdose?
Olivia: die mit den Haschkeksen.
Finn: Oh Shit.