Bus-Lotterie

Wer das blog verfolgt weiß, dass ich vom Auto auf die öffentlichen Verkehrsmittel umgestiegen bin.
So regelmäßig wie in den letzten drei Tagen bin ich wahrscheinlich seit meiner Schulzeit nicht mehr Bus gefahren. Gäbe es jedoch das Internet nicht, würde ich wahrscheinlich immer noch nach den richtigen Buslinien suchen oder nach einem Informationsbüro der „Lignes D´Azur“. Doch zum Glück sind die Zeiten ohne das worldwideweb Geschichte und die „Lignes D Azur“ haben eine gut aufgebaute homepage, http://www.lignesdazur.com, die auch auf Englisch aufgerufen werden kann. Der link „plan your trip“ zeigt dann die entsprechenden Verbindungen an. Ich recherchiere also die Verbindung nach Villefranche, weil mein Vermieter mir den Tipp gegeben hat, dort einen Tag am Strand zu verbringen. „Très jolie“ meinte er zu mir. Womit wir wieder beim Thema wären…
Ich fahre mit der Tram zum Place Garibaldi und begebe mich auf die Suche nach der Haltestelle für den Bus N° 81. Laut der Karte von Lignes D`Azur liegt sie in der Rue Catherine Segurane. Nachdem ich den Place Garibaldi nach allen Seiten abgesucht habe finde ich tatsächlich die richtige Straße, die sich als einzige Baustelle präsentiert. Hier kann definitiv kein Bus durchfahren oder anhalten. Vergeblich halte ich Ausschau, ganz deutsche Gründlichkeit, nach einem Hinweis, der etwas sagt wie „Haltestelle verlegt“, aber ich finde nichts. Glücklicherweise halten die Busse der Lignes D´ Azur an jedem dicken Baum und man muss nur ein Stück in die richtige Richtung gehen, dann kommt irgendwann die nächste Haltestelle. (Die richtige Richtung zu finden ist auch mit einem nur rudimentär vorhandenen Orientierungssinn wie meinem hier möglich). Ich entere nach ein paar hundert Metern die Haltestelle meines Vertrauens und wie bestellt kommt auch gleich darauf der Bus. So ein kompliziertes System wie in Deutschland kennt man hier glücklicherweise nicht. Zone 1, 2 oder 3 ? Fehlanzeige. Man bezahlt sein Ticket und kann bei Bedarf bis zur Endstation durchfahren. Ich ergattere einen Sitzplatz und der klimatisierte Bus schaukelt gemütlich oberhalb der wunderschönen Küste entlang und präsentiert mir atemberaubende Ausblicke auf das tiefblaue Meer, das in der Sonne glitzert und am Horizont mit dem Himmel verschwimmt. In den kleinen Buchten liegen weiße Boote und Jachten vor Anker wie kleine weiße Vögel, die auf dem Wasser treiben. Die Terracotta oder Ocker gestrichenen Häuser haben jadefarbene Holzläden und scheinen an die steilen Hänge angeklebt zu sein. Als der Bus Villefranche passiert beschließe ich spontan, bis zur Endstation durchzufahren, ohne genau zu wissen wo das sein würde. (Das war reine Abenteuerlust, ehrlich! Es hatte nichts damit zu tun, dass meine schwäbischen Gene mir befohlen hätten, das, was ich bezahlt habe, auch in Anspruch zu nehmen!)
Ich bleibe also sitzen bis der Fahrer ruft. „Terminus!“ und bin in St. Jean Cap Ferrat gelandet. Nicht die schlechteste Wahl. Ich schlage mein Lager am wenig bevölkerten Strand auf und lasse mir die Stunden bis zum Abend durch die Finger rieseln.
Neuer Tag, neues Glück. Da es also gestern mit Villefranche nichts geworden ist, versuche ich mein Glück heute nochmal. Ich gehe gleich zu der gestern entdeckten Haltestelle und habe genügend Zeit zu untersuchen, welche anderen Linien hier noch durchfahren. Sieh an, hier fährt auch die N° 100, von Nizza über Beaulieu sur Mer und Monaco nach Menton. Da der 100er zuerst kommt nehme ich den und disponiere um. Ich fahre nach Menton, da soll es auch sehr schön sein (sagt mein Vermieter). Leider ist der Bus völlig überfüllt, man kann kaum noch stehen, es ist kein Vergnügen und die Klimaanlage schafft auch keine Kühlung mehr. Also doch vorzeitiger Abbruch der Reise. Villefranche wird von diesem Bus nicht angefahren, so lande ich wieder in Beaulieu sur Mer. Das kenne ich zwar schon aber dafür gehe ich heute mal an einen anderen Strand. Neben mir liegen drei junge Frauen und ein junger Mann, die sich angeregt auf Englisch unterhalten. Der Junge kommt aus den USA, das ist nicht zu überhören. Da es sich nun einmal nicht vermeiden läßt , lausche ich dem Gespräch der vier und erfahre so einiges über die Art und Weise, wie junge Leute heutzutage unterwegs sind. Der Amerikaner hat seine Reise durch Europa offensichtlich in Prag begonnen, die drei Mädchen kommen aus der tschechischen Republik. Er erzählt, dass er mit bla-bla an die Coté d´Azur gekommen ist.( http://www.blablacar.de) Das war offensichtlich kein großes Problem, leider haben die meisten Leute, mit denen er mitgefahren ist, kein oder wenig Englisch gesprochen und er spricht weder Italienisch noch Französisch. Seine weitere Reise wird ihn zunächst nach Cinqueterre führen (http://de.wikipedia.org/wiki/Cinque_Terre) und danach weiter nach Florenz, Rom und anschließend will er mit der Fähre nach Pula in Kroatien übersetzen. Von Kroatien geht es über Slowenien wieder zurück nach Prag. Die Tickets für blabacars bucht er im Internet, macht mit dem Fahrer einen Treffpunkt aus und steigt ein. Blabla ist also offensichtlich das Interrail von heute. Ich bin immer noch einen Moment erstaunt wenn ich Menschen aus dem ehemaligen Ostblock in den Touristenhochburgen des Westens treffe, die Konditionierung durch eine Kindheit mit Mauer und kaltem Krieg hat offensichtlich ihre Spuren hinterlassen. Mir fällt unsere Klassenfahrt nach Prag ein, die bettelnden Kinder in Pilsen, die unsern Bus umringten oder die jungen Tschechen, die wir vor dem Hotel kennenlernten und die uns erzählten, dass sie von der Schule verwiesen wurden, weil sie ihre Haare nicht schneiden lassen wollten und dass eine Pink Floyd Langspielplatte umgerechnet 700 DM kostete. Die drei Mädels neben mir waren vermutlich im Jahr des Mauerfalls noch nicht einmal geboren und ich frage mich, wie viel sie von den Zuständen damals in den Siebzigern wissen. Jedenfalls finde ich es großartig, dass diese Zeiten vorbei sind und sie auch die Möglichkeit haben, zu reisen und die Welt zu erobern. Vielleicht probiere ich das Reisen mit blablacars auch mal aus, wer weiß. Im Moment reise ich jedenfalls noch „klassisch“ und morgen schaue ich mal wohin mich die Bus-Lotterie bringt.
A bientôt!

2 Gedanken zu „Bus-Lotterie

  1. Ich mag es, im Urlaub mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, Bus, Straßenbahn, U-Bahn oder Zug. Man entdeckt Gegenden, Plätze oder versteckte Winkel, in die man als „normaler“ Tourist sonst nicht hinkäme. Ich erinnere mich, dass ich es z.B. in Lissabon genau so gemacht habe wie du – mit der Straßenbahn bis zur Endhaltestelle zu fahren, zum Cemitério dos Prazeres, dem Friedhof des Vergnügens. Fantastisch, skurill und gänsehauterzeugend.
    LG von Rosie

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