Happy Birthday to me

Ich erinnere mich, es gab eine Zeit, da las meine Mama meine Gedichte.

Sie las die Titel und suchte sich dann eines aus, das sie interessierte. Ich bin sicher, sie fand es schön. Vielleicht war sie stolz auf mich, vielleicht war sie auch verwundert, dass es ihr Kind war, das so etwas hervorbrachte. Mag sein, es überraschte sie nicht, denn sie hatte selbst eine natürliche Begabung für den Umgang mit Worten, wie auch mein Vater sie hatte, der wunderbare Reden halten konnte, frei gesprochen, mit viel Empathie. Auf Grund seiner Herkunft, in seiner Generation, als Sohn einfacher Bauern auf dem Land, hatte er keine Chance, etwas aus dieser Begabung zu machen.

Jetzt ist die Zeit gekommen, die ich so gefürchtet habe. Ich wusste, dass der Tag kommen würde, wusste, dass ich mich darauf zu bewege, wie in einem Zug, der fährt ohne anzuhalten, auf sein Ziel zusteuert, ohne eine Chance auszusteigen.

Meine Mama erkennt mich nicht mehr. Auch wenn sie versucht, es zu verbergen, ich weiß, dass sie nicht weiß, wer ich bin.

Vor einigen Tagen hatte ich Geburtstag, und ich hatte keinerlei Bedürfnis, zu feiern oder diesen Tag irgendwie zu zelebrieren, denn sie, die mir das Leben geschenkt hat, weiß nichts mehr von meiner Existenz.

Wie immer, wenn etwas besonders schmerzhaft ist, wende ich mich nach innen, lege den Schmerz ab in diesem geheimen Raum und  verschließe die Tür.

Und ich erinnere mich. Ich erinnere mich an eine Zeit, da las meine Mama meine Gedichte….. .

 

18 Gedanken zu „Happy Birthday to me

  1. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem mich meine Oma nicht mehr erkannte. Doch jeden Sonntag, wenn ich sie in ihrem Heim besuchte, ich den Gemeinschaftsraum betrat, in dem sie mit den Anderen saß, mich erblickte, hellte sich ihre Miene auf und sie freute sich, mich zu sehen und sprach mich mit Günter an; sie erblickte in mir, ihren im Krieg gefallenen kleinen Bruder. Ein paar Monate später ist sie dann nicht mehr aus einem Nachtschlaf aufgewacht. So traurig der (allmähliche) Verlust auch war, die schönen gemeinsamen Jahrzehnte, die Erinnerung daran und die Gefühle, die diese Erinnerungen wecken, werden mich bis an mein Ende begleiten. The circle of life.

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  2. Das ist nachvollziehbar, dass das schmerzt, liebe Carmen. Ich möchte dir dennoch gratulieren zu deinem Geburtstag. Mein Glückwünsch für jedes einzelne Lebensjahr, für jedes Gedicht, das entstand und weiter entstehen wird. Und eine Ladung Kraft zu dir, um mit der neuen Situation umzugehen.
    Das Foto von euch beiden ist wunderbar!

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    • vielen Dank! Ja, das Foto liebe ich auch sehr, Es entstand im Sommer nach der Hirnblutung, da ging es ihr noch recht gut, außer der fehlenden Orientierung war alles wie immer. Wir machten unsere Spaziergänge und unterhielten uns. Das haben wir beide geliebt. Es fehlt mir, sie fehlt mir. Es geht eigentlich ganz gut, aber letzte Nacht da gab es einen Trigger, den Halbmond, und ich schreibe immer wieder Gedichte über den Mond – da war die Erinnerung da und hat mich einfach weggeschwemmt….danke für deine Worte!

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  3. Ein Abschied auf Raten ist die Demenz. Und ja, natürlich sollst und darfst du trauern, darfst die Krankheit anklagen, dass sie dir das Liebste nimmt, musst nicht stark sein. Sie ist nun schon sehr weit weg.
    Hast du, hat das Heim den Eindruck, dass es ihr in ihrer Gedankenwelt gut geht?
    Dir dennoch ein gutes neues Lebensjahr. Das ist nicht von deiner Mutter abhängig, mach es nicht dazu.
    Carmen, so bitter es ist: Du bist jetzt endgültig die „Große“, sie ist die „Kleine, und du passt auf sie auf, weil sie es nicht mehr kann.
    Ich umarme dich in deiner Fassungslosigkeit.
    Liebe Grüße aus dem Norden
    Christiane

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    • ja, es ist ein Abschied auf Raten. Ich kämpfe immer mit dem Gefühl der Ohnmacht, ..Im Heim geht es ihr gut, sie ist in ihrer eigenen Welt. In der ist sie ein junges Mädchen, ihre Eltern leben in ihrer Vorstellung noch und sie ist höchst verwundert wenn jemand ihr sagt, ihr Enkel wolle sie besuchen 🙂
      Vermutlich ist es für sie viel einfacher als für mich. Sogar besser als in der Zeit als sie noch mehr „wusste“, denn da war ihr immer wieder bewusst, dass etwas „nicht stimmt“ und sie war völlig bestürzt. Es geht jetzt ins vierte Jahr und meine Kraft ist manchmal einfach zu Ende, zumal ich ja mit der Krankheit und dem langsamen Sterben meines Vaters auch nach seinem Tod noch lange zu kämpfen hatte. Wir sind ja mitten im eben und können die Welt nicht anhalten – da bleibt manchma keine Zeit zum Verarbeiten, da hilft nur Verdrängen. Bis wieder ein Moment kommt an dem es nicht mehr geht. Ein ständiges Auf und Ab.
      Danke für deine lieben Worte!

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  4. Denn sie, die Dir Dein Leben geschenkt hat, weiß nichts mehr davon….. Nichts mehr von Dir, Deiner Existens…..!

    Liebe Wortwabe.

    Ich das so wichtig, das Du trauerst?, die Tür verschließt und niemanden mehr hinein lässt, nicht einmal Dich.?
    Woher willst Du wissen, das sie Dich nicht spürt, wenn Du ihr Deine Gedichte vorliest, wenn Du nahe bei ihr bist. Wenn sie den Klang Deiner Stimme hört, den Duft Deiner Haut riecht. Sie spürt Deine Zugewandtheit, die Liebe, die Wärme, den Ton Deiner Stimme der sanfte Wellen des
    Wohlbehagen in ihr auslösen. Du bist ihr vertraut. Du bist der Stern in ihrer Dunkelheit.
    Leuchte.
    So lange sie noch hier ist. Und darüber hinaus.

    Herzlichen Glückwunsch

    Hilde

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    • Danke liebe Hilde. Ja, du hast recht, das versuche ich auch. Vielleicht spürt sie etwas, mag sein, ich weiß es nicht denn sie reagiert nicht wirklich. Es ist alles schwierig, manchmal ist es zu schwierig, dann halte ich es einfach nicht aus.

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      • Ja, ich verstehe, stell Dir vor sie wird ein Schmetterling. Das was vor Dir liegt ist ein Kokon, in ihm beginnt eine Wandlung. Eine die wir nicht verstehen, die uns Angst macht. So ging es mir. Ich wollte nicht meine Mutter verlieren. Ich wollte nicht allein bleiben. Ich wollte keine Veränderung. Ich wollte keine Trauer.
        Ich war immer in ihrer Nähe -Kind -. Es war so schön, obwohl ich erwachsen, selbst Kinder habe und Enkel. Bei ihr war ich – Kind -. Alle Ängste und Kämpfe meines Lebens trug sie. Ohne Worte des Vorwurfs.
        Ich spürte ihre Liebe, niemals zuvor so stark wie in der Zeit des Abschieds. Habe keine Angst, fliege wie sie. Werde ein Schmetterling. Erlaube Dir zu träumen, von einer wundersamen Reise. Du wirst keine Angst, keine Trauer spüren. Du wirst an Deiner Aufgabe wachsen, sie wünscht es sich. Da bin ich mir sicher. Habe Vertrauen in Dich. Es ist Liebe die trägt.
        Verzeih mir, wenn ich so offen rede.
        Hilde

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